Interview zum Buch

Unfaßbar, aber nicht unnahbar

 

Interview mit V. Weustenfeld, erschien in den

„Kieler Nachrichten“ vom 6.10. 2007

Was ist Bewusstsein? Wenn wir aus dem Schlaf erwachen oder wir uns zum Kauf des neuen Automobils entscheiden? Wodurch unterscheiden sich beim Menschen bewusste und unbewusste Denkprozesse? Diesen Fragen widmet sich Prof. Dr. Heinz Georg Schuster in seinem Buch „Bewusst oder unbewusst“. Dabei ist der Autor nicht etwa Geisteswissenschaftler oder Neurobiologe, sondern  Professor am Kieler Institut für Theoretische Physik.

Wie kommt ein Physiker dazu,

 sich die Frage nach dem Bewusstsein zu stellen? 

Die derzeitige Entwicklung der Physik geht oft hin zu Extremen. Zum einen untersuchen Hochenergiephysiker extrem kleine Elementarteilchen und zum anderen beobachten Astronomen Sterne in extrem großen Entfernungen im Weltraum. Mit meiner Arbeitsgruppe in Kiel untersuche ich Systeme bei denen durch das Zusammenspiel von relativ einfachen Elementen komplexes Verhalten auftritt, also etwa gekoppelte Pendel oder Schwingkreise, die Chaos zeigen. Da liegt es nahe, sich auch mit einem wirklich extrem komplexen System zu beschäftigen, dem menschlichen Gehirn. Es besteht aus einem Netzwerk von Neuronen, das sich durch Lernen ändern kann. Die wohl spannendste wissenschaftliche Frage in unserem Jahrhundert ist die, wie sich in diesem menschlichen Kontrollorgan Bewusstsein herausbilden kann. In meinem Buch versuche ich aus meiner Sicht den derzeitigen Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnis zu diesem Problem aufzuzeigen. Im Gegensatz zur Philosophie gehe ich dabei von Experimenten aus und betrachte Bewusstsein als einen Kontrollprozess,  dessen Elemente und Eigenschaften messbar sind.

Sie schreiben, dass Bewusstsein ein Kontrollprozess ist,  der evolutionäre Vorteile vor allem im Sozialverhalten bringt. Wie meinen Sie das?

Wie alle Lebewesen sind wir ein Produkt der Evolution. Mit Hilfe unseres Bewusstseins versuchen wir unser Verhalten in der Natur und gegenüber unseren Mitmenschen so zu optimieren, dass wir die besten Überlebenschancen für uns und unsere Nachkommen haben. Bewusstsein befähigt uns etwa zur Empathie, wir können uns in andere Menschen hineinversetzen. Wenn ich weiß, dass Kollege X und Kollege Y sich nicht besonders leiden können versetze ich mich in deren Lage und überlege, dass sie sich bei einem gemeinsamen Essen unwohl fühlen würden. Also lade ich sie getrennt ein und erhalte mir beider Freundschaft.  

Was sind für Sie die für das menschliche Bewusstsein typischen Grundelemente?

Unser Bewusstsein zeichnet sich von einfachen Kontrollprozessen durch drei grundlegende Neuerungen aus: Wir haben ein Selbstbild, wir erkennen uns beispielsweise- im Gegensatz zu einem Hund- im Spiegel. Damit können wir unser eigenes Verhalten und unsere Position aus der Vogelperspektive beobachten. Das bringt Vorteile beim Planen etwa bei einer gemeinsamen Bootsfahrt. Wir haben weiterhin die Fähigkeit zur Selbstreflexion, dadurch  können wir Geschehnisse und Sachverhalte wiederholt immer wieder in neuem Licht betrachten und damit immer tiefer erkennen, welche Bedeutung sie für unser Überleben haben. Wenn wir durch Selbstreflexion – also durch Nachdenken über uns-  einsehen, dass wir mir unseren Ressourcen sparsamer umgehen müssen, da die Erde nur eine beschränkte Fläche hat, ist dies wichtig für unser aller Überleben. Wir haben schließlich unsere  Sprache, die es uns ermöglicht mit unseren Mitmenschen zu kommunizieren und Ideen auszutauschen. Diese Möglichkeit zur Weitergabe von Wissen hat unsere Evolution gewaltig beschleunigt.   

 Wie viel von dem, was wir tun, verläuft unbewusst? 

Ich glaube, das meiste. Wenn Sie einen Computer bedienen, sehen Sie auch nur das Bild auf dem Monitor und nicht alles was sich im Computer abspielt. Dass es beim Menschen ähnlich ist und nur ein kleiner Bruchteil dessen was sich in seinem Hirn abspielt unserem Bewusstsein zugänglich ist, hat schon Sigmund Freud erkannt. Es gibt aber schon die Möglichkeit durch bildgebende Verfahren Prozesse im Gehirn sichtbar zu machen, die unserem Bewusstsein nicht zugänglich sind. So kann man etwa messen, dass einzelne Teile unseres Gehirns tiefer schlafen können als andere, oder auch die Neuronenaktivität, die einem Willensakt vorangeht, sichtbar machen, bevor wir uns  dessen bewusst werden.

Sie schreiben, dass unser freier Wille eine Illusion ist, und selbst wenn wir glauben, frei zu handeln, können wir nur so handeln, wie es unsere Persönlichkeit bestimmt, die durch genetische Bedingungen und Erfahrungen geprägt ist. Das klingt sehr deterministisch. Sind wir dann überhaupt verantwortlich für das, was wir tun oder lediglich die Summe unserer Prägung? 

Unser ganzes Denken besteht aus  physikalisch-chemischen Vorgängen, sonst ist nichts im Kopf zu finden. Daraus folgt, dass zu jedem Zeitpunkt unser  Gehirnzustand unser Verhalten bestimmt, also determiniert. Wir können aber unseren Gehirnzustand durch Lernen und Nachdenken ändern. Jeder der im Straßenverkehr eine Geldstrafe für Fehlverhalten bekommt, ändert seinen Gehirnzustand, damit ihm dies ein zweites Mal erspart bleibt und handelt damit verantwortlich.

Wie relevant ist dann der Kulturkreis, in dem wir leben, für unser Bewusstsein? 

Natürlich sehr, ein Muslim, dem das Alkoholtrinken durch den Koran verboten ist, wird sehr bewusst darauf achten keinen Wein zu trinken, während wir im Abendland ohne darüber nachzudenken, also unbewusst,  öfter Alkohol trinken.

Was unterscheidet Ihrer Meinung nach menschliches vom tierischen Bewusstsein? 

Was uns meines Erachtens von Tieren unterscheidet, ist dass wir sprechen können. Wir können Dank unserer Grammatik aus wenigen Wörtern sehr, sehr viele Sätze bilden. Damit können wir immer neue Fragen an uns und unsere Umwelt stellen. Diese erhöhte Ausdrucksfähigkeit führt zu einer „geistigen Unruhe“ bei der Antworten auf Fragen zu immer neuen Fragen führen. Dieser weiterbohrende Frageprozess ist es, der uns von Tieren massiv unterscheidet. Selbst Schimpansen können maximal nur etwa  400 Zeichnen lernen und wenn sie satt sind, werden sie niemals fragen was die Wolken am Himmel bedeuten.

Können Ihrer Meinung nach auch Maschinen denken lernen, bzw. subjektives Erleben in künstlichen Systemen erzeugt werden? 

Das halte ich grundsätzlich für möglich, man muss dazu allerdings den Maschinen Bedeutung von Ereignissen vorgeben oder antrainieren, da sie derzeit nur Daten wertefrei manipulieren können.

Und wo bleibt da die Religion? 

Je mehr wir wissen, desto mehr erkennen wir, wie wenig wir wirklich wissen und wie wunderbar unser Gehirn arbeitet. Ein schönes Zitat stammt von dem deutschen Nobelpreisträger Werner Heisenberg: „Der erste Schluck aus dem Becher der Erkenntnis führt zum Atheismus, aber auf dem Grund des Bechers sitzt Gott“.

Leave a Reply

You must be logged in to post a comment.